SoftwarearchitektInnen im Wandel der Zeit
Interview mit iSAQB-Mitglied Mischa Soujon auf der OOP-Konferenz 2020 in München
Christoph Witte: Hallo, mein Name ist Christoph Witte. Ich bin freiberuflicher Journalist. Ich stehe hier vor dem Stand des International Software Architecture Qualification Board auf der OOP-Konferenz in München. Und ich möchte mit Mischa Soujon sprechen. Er arbeitet bei IBM als Solution Architect, erstellt Prototypen und Proof-of-Concept für Kunden aus dem öffentlichen Bereich. Er arbeitet im IBM Watson Center in München. Falls Sie das Watson Center kennen, wissen Sie auch, dass es im Technologiebereich führend ist. Es arbeitet mit IoT, künstlicher Intelligenz, und mit erweiterter Intelligenz, wie IBM es nennt.
Mischa, was ist Ihre Rolle beim iSAQB?
Mischa Soujon: Guten Tag. Meine Rolle beim iSAQB ist die eines Mitglieds der Arbeitsgruppe Foundation Level. Wir, die KollegInnen in dieser Arbeitsgruppe, haben den Lehrplan für das Foundation Level erstellt, sodass die TrainerInnen und Trainingsprovider wissen, wie die Trainings aufgebaut werden müssen. Und wir erstellen und überprüfen die Fragen für die Zertifizierung im Foundation Level. Wir kümmern uns um sämtliche Aspekte rund um die Zertifizierung im Foundation Level.
Christoph Witte: Und Foundation Level bedeutet, dass dies die Grundkurse oder Grundlagenkurse sind? Oder welche Art von Kursen finden im Foundation Level statt?
Mischa Soujon: Die Foundation-Level-Schulung bietet Informationen und hilft den Teilnehmenden, die Grundlagen zu erlernen, die jeder Softwarearchitekt und jede Softwarearchitektin wissen muss. Sie lernen die Grundlagen der Technologien, der Methoden und der Softwarearchitektur, die in ihrer täglichen Arbeit verwendet werden. Sie erhalten Hinweise und Tipps, wie sie mit anderen Teammitgliedern und Partnern mit wirtschaftlichem und technologischem Hintergrund kommunizieren können. Sie lernen eine Menge Dinge, die sie für ihre tägliche Arbeit benötigen. Außerdem wird ein gemeinsames Verständnis der IT- und Softwarearchitektur im Allgemeinen fast überall auf der Welt vermittelt, sodass wir alle die gleichen Begriffe und entsprechenden Bedeutungen verwenden und in der gleichen Sprache sprechen, wenn wir über Komponenten, Systeme, Systemansichten, Systemkontext usw. reden.
Christoph Witte: Warum sollten ArchitektInnen an diesen Kursen teilnehmen? Denn ich glaube, dass ArchitektInnen an der Universität und in ihrem Beruf sehr gut ausgebildet werden. Warum sollten sie diese Zusatzausbildung machen?
Mischa Soujon: Meine Erfahrung ist, dass SoftwarearchitektInnen, die zum Beispiel aus einem Automobilunternehmen kommen, und SoftwarearchitektInnen, die aus einem Versicherungsunternehmen oder aus verschiedenen Bereichen und Branchen kommen, ein gutes Verständnis von Technologie und Architektur auf ihren jeweiligen Gebieten haben. Aber sie müssen mit anderen ArchitektInnen, mit anderen SoftwareentwicklerInnen aus anderen Bereichen kommunizieren, weil sie sich über die Informationen oder die Erfahrungen, die sie haben, austauschen müssen. Und um dies wirklich schnell und effizient zu tun, müssen sie über eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis der grundlegenden Dinge verfügen. Das ist der Grund, warum ich wirklich denke, dass es sehr hilfreich ist, diese gemeinsame Sprache zu haben. Ein grundlegendes Verständnis von und Wissen über die Grundarchitektur, die Softwarearchitektur.
Christoph Witte: Sie arbeiten im Watson Center. Und, wie gesagt, das Watson Center steht an der Spitze der modernen Computertechnologie. Es arbeitet mit künstlicher Intelligenz, IoT, Augmented Reality. Und zu guter Letzt wäre da noch die Watson-Technologie, die wir alle aus dem Quiz Jeopardy und anderen Bereichen kennen. Wie verändert sich Ihre Arbeit als Architekt aufgrund der neuen Technologien, mit denen Sie arbeiten?
Mischa Soujon: Der wichtigste Faktor dabei ist, dass wir in der frühen IT-Geschichte an nur einem nicht verteilten System gearbeitet haben, und jetzt haben wir mehrere Cloud-Technologien, und die Entwicklungen gehen viel schneller voran als vor zehn oder zwanzig Jahren. Als Architekt muss ich also diese neuen Technologien an mein altes Wissen anpassen und die neuen Technologien in die, sagen wir, alten Rechenzentren unserer KundInnen integrieren, in die altmodischen Systeme, die sie haben, und wir können nicht von einem Tag auf den anderen wechseln. Wir müssen verstehen, wie der alte Kram aufgebaut ist, wie die alten Dinge funktionieren, wie diese sogenannten Altsysteme arbeiten und wie wir sie transformieren oder umbauen können, um sie auf die neuen Technologien umzustellen, wenn es nötig ist. Manchmal ist es nicht notwendig, aber das bedeutet auch, SoftwarearchitektInnen oder IT-ArchitektInnen zu finden, die das verstehen und herausfinden. Manchmal sind Altsysteme sehr gut und man muss nichts daran machen. Aber wenn man diese Erfahrung nicht hat, kann man das nicht sehen, und man braucht diese Erfahrung. Das ist manchmal auch Teil des Austauschs zwischen ArchitektInnen – zu wissen und zu verstehen, was geändert werden muss, wo die neuen Technologien angepasst werden müssen und was für die nächsten fünf bis zehn Jahre stabil bleiben könnte.
Christoph Witte: Aber mit den neuen Technologien ist die Arbeit in den Gruppen anders. Die Methoden sind unterschiedlich. Agile erobert im Moment die Welt. Was wir heute in der Keynote gehört haben, ist, dass es keinen wirklichen Bedarf an ArchitektInnen in agilen Teams gibt. Was sagen Sie dazu?
Mischa Soujon: Ja, die agilen Methoden wie Scrum und andere oder selbstorganisierte Teams, die zusammenarbeiten und ihre Architekturen und Systeme, ihre small services – ich will nicht sagen Microservices, sondern small services – ohne eine dedizierte Rolle eines Architekten oder einer Architektin aufbauen können, aber sie bauen Architekturen. Und wenn man ein Team ausschließlich mit erfahrenen Entwicklern hat, hat man wahrscheinlich niemanden, der einen Überblick über die Situation hat und einen Blick über den Tellerrand und auf die Schnittstellen zwischen anderen Systemen wirft. Und wenn man niemanden hat, der Erfahrung mit Architektur hat, jemanden, der ArchitektIn ist und sich mit diesen Dingen auskennt, dann entwickelt es sich manchmal ziemlich ungünstig. Meine eigene Erfahrung bei IBM ist zum Beispiel, wenn wir für KundInnen einen Proof-of-Concept oder einen Prototyp erstellen und das mit Leuten machen, die nicht so erfahren sind, dann bauen sie etwas, das drei Monate lang für ein Demo sehr gut funktioniert. Und dann geht das Team oder teilt sich auf und das Demo geht kaputt. Dann ist es viel schwieriger, die Komponenten zu finden, um dies zu reparieren oder es einfach neu aufzubauen. Wenn man keine Architektur gebaut und diese Architektur nicht dokumentiert hat. Die Rolle der ArchitektInnen besteht nicht darin, alles zu entscheiden, sondern er oder sie bringt die Dinge zusammen, dokumentiert und benennt sie, sodass andere verstehen können, was passiert. Das ist also die Hauptrolle der ArchitektInnen heutzutage, und das ist der Wandel von den Anfängen als Wasserfallsystem.
Christoph Witte: Wie finden neue Technologien Ihrer Meinung nach den Weg in die Weiterbildung? Wie werden sie zu Themen neuer Trainings? Gibt es einen Prozess oder ist das nur Zufall?
Mischa Soujon: Um ehrlich zu sein, ist es nur Zufall. Aber da die TrainerInnen meist erfahrene ArchitektInnen, sogenannte Senior-ArchitektInnen, oder fortgeschrittene zertifizierte ArchitektInnen sind, wissen sie, dass sie jeden Tag lernen müssen. Sie greifen die neuen Technologien auf. Sie lernen selbst und passen diese neuen Technologien, die neuen Methoden, an die alten an, die sie gelernt haben. Und sie versuchen, Erklärungen dafür zu finden, wie alte Dinge in neue umgewandelt werden können oder worin die Unterschiede bestehen. Und dies fließt teilweise wieder in den Lehrplan ein. Aber wir sprechen über Foundation, über die Grundlagen, und die ändern sich nicht so schnell. Aber das Wissen der ArchitektInnen, die oft TrainerInnen sind, fließt in diese Schulungen ein, und manchmal passen wir den Lehrplan an. Derzeit meist ein- oder zweimal pro Jahr, aber wir konzentrieren uns darauf, den Lehrplan einmal pro Jahr zu ändern, damit er größtenteils konsistent ist. Aber das wird von den ArchitektInnen selbst reflektiert.
Christoph Witte: In Ordnung, vielen Dank für dieses Gespräch, Mischa.
Und ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihr Interesse. Und bitte denken Sie daran – SoftwarearchitektInnen werden bleiben, aber vielleicht werden sie in Zukunft anders heißen. Ich danke Ihnen vielmals.
Hier das komplette Interview ansehen (Englisch):
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